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Vom Tigris nach Versailles: Die Erbse ist eine Kulturpflanze mit Tradition


 

... die Ungeduld, sie zu essen,
das Vergnügen, sie gegessen zu haben,
und die Freude, sie wieder zu essen ...

(Madame de Maitenon 1696)

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Während man früher davon ausging, dass die Erbse (Pisum sativum L.) in Äthiopien domestiziert wurde, gilt heute als gesichert, dass die bei uns angebauten Erbsen ursprünglich wie die Getreidearten Weizen und Gerste oder die Hülsenfrüchte Linsen und Kichererbsen aus dem Gebiet des fruchtbaren Halbmonds stammen (Wade 1937, Smýkal et al. 2018). Der fruchtbare Halbmond bezeichnet das typisch mediterrane Winterregengebiet nördlich der arabischen Halbinsel und der syrischen Wüste mit den Flüssen Euphrat und Tigris. Heute werden innerhalb der Gattung Pisum zumeist drei Arten unterschieden: P. sativum, P. fulvum und P. abyssinicum, wobei die beiden letztgenannten nur schwer mit P. sativum kreuzbar sind. Die wilden Verwandten unserer Kulturform werden unter der Subspecies P. sativum elatius zusammengefasst (Smýkal et al. 2011) oder als Art P. elatius geführt. Gelegentlich werden die Wildformen in die Unterarten P. s. elatius und P. s. humile unterteilt (Kreplak et al. 2019). Die nahesten wild wachsenden Verwandten unserer Kulturform wurden in Georgien, Armenien und dem Südosten der Türkei gefunden. Hierbei könnte es sich allerdings um frühzeitig verwilderte Formen einer bereits domestizierten Variante handeln (Trněný et al. 2018).

Die Kulturform Äthiopiens und des Jemens, P. abyssinicum, wurde unabhängig davon domestiziert (Vershinin et al. 2003). Molekulare Analysen ließen zunächst vermuten, dass sie aus einer Kreuzung der beiden anderen Arten entstanden ist. Da P. elatius und P. fulvum gemeinsam im westlichen Teil des fruchtbaren Halbmondes vorkommen, galt als wahrscheinlich, dass dort eine Hybridisierung stattgefunden hat und diese nach Afrika gelangt ist, um sich dort zur heutigen Kulturform P. abyssinicum zu entwickeln (Jing et al. 2010). Die geringe genetische Diversität innerhalb P. abyssinicum unterstreicht diese Hypothese (Vershinin et al. 2003, Jing et al. 2010). Neuere Untersuchungen gehen zwar immer noch davon aus, dass P. abyssinicum nicht aus dem Bereich des heutigen Anbaugebiets stammt, deuten allerdings darauf hin, dass – wie bei unserer Kulturform P. sativumP. elatius alleiniger Vorfahr ist (Kreplak et al. 2019).

Die Domestikation der Erbse fand wahrscheinlich parallel zu oder etwas nach der Domestikation der Vorläufer unseres heutigen Weich- und Hartweizens sowie der Gerste statt. Bei archäologischen Funden von Erbsensamen kann jedoch weniger eindeutig zwischen gesammelten Wildformen und bereits domestizierten Kulturformen unterschieden werden, als es bei den Getreiden der Fall ist. Das Fehlen der Spindelbrüchigkeit gilt hier als eindeutiges Merkmal der Domestikation: Bei Wildformen der Getreidearten fallen die reifen Samen auf den Boden, bei Kulturformen bleiben diese zunächst stabil in der Ähre haften, was die Ernte vereinfacht bzw. das mühselige Aufsammeln reifer Samen vom Boden vermeiden hilft. Fehlende Dormanz und eine glatte Oberfläche der Samenschale gelten als Schlüsselmerkmale der Domestikation der Erbse (Smýkal et al. 2018, Zohary und Hopf 1973). Dormanz verhindert, dass Samen selbst unter günstigen Bedingungen keimen. In Winterregengebieten wie dem Mittelmeerraum sorgt Dormanz dafür, dass Pflanzen z. B. nicht nach einzelnen Niederschlagsereignissen im sonst trockenen Sommer auflaufen. Was in der Natur Sinn macht, ist für Ackerbauern ein eher hinderlicher Mechanismus: Da Saatgut in der Regel bis zur Aussaat trocken gelagert wird, kann es ohnehin nicht keimen, während es zu dem vom Bauern bestimmten Aussaatzeitpunkt keimen soll, ohne dass die vorhandene Dormanz zunächst gebrochen werden muss. Bei Hülsenfrüchten gelten darüber hinaus geschlossene, reife Hülsen, die analog zur Spindelfestigkeit beim Getreide das Ausfallen der reifen Körner verhindern, als eindeutiges Merkmal domestizierter Formen. Von diesen drei Eigenschaften, kann nur die glatte Samenschale und das auch nur bei sehr gut erhaltenen archäologischen Funden nachgewiesen werden (Caracuta et al. 2017, Zohary und Hopf 1973).

Dem Übersichtsartikel von Zohary und Hopf (1973) zufolge, sind die ältesten Funde von Erbsen mit glatter Samenschale 9.000 Jahre alt und stammen aus Anatolien, ca. 40 km nordwestlich von Diyarbakir. Die Funde wurden am Ufer eines Nebenflusses des Tigris gemacht. Ähnlich alte Funde aus Jericho sind dem prä-keramischen Neolithikum zuzuordnen, also der Zeit, in der die Menschen dort bereits sesshaft waren und Ackerbau betrieben, aber noch keine keramischen Gefäße herstellten. Noch ältere Funde wurden in Israel gemacht: Mittels Radiokarbondatierung konnte ein Alter von 10.240 bis 10.200 Jahren bestimmt werden (Caracuta et al. 2017). Während es für Fababohnen derselben Fundstelle eindeutige Hinweise auf eine bereits domestizierte Form gibt, fehlen diese für die Erbse. Eine Fundstelle im Norden Syriens hat bis zu 12.000 Jahre alte Reste sowohl von den Getreidearten Einkorn und Roggen als auch der Hülsenfrüchte Erbse und Linse hervorgebracht. Da es sich bei den Getreiden eindeutig um Wildformen handelt, wird dieses auch für die Hülsenfrüchte angenommen (Wilcox at al. 2008). Weil die Fundstellen außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets des wilden Roggens liegen, wird davon ausgegangen, dass eine erste Kultivierung der Arten bereits vor der Domestizierung, bzw. vor der Selektion, auf die genannten Domestikationsmerkmale erfolgte. Wo genau die Domestikation stattfand und ob eine Variante der Wilderbse, die in der offenen Steppe im Nordosten Israels, in Syrien und der südlichen Türkei heimisch ist und der Kulturform in ihrem Habitus ähnelt, auch ihr Vorfahr ist, konnten bislang weder archäologische Funde noch molekulargenetische Untersuchungen eindeutig nachweisen (Smýkal et al. 2011, Zohary und Hopf 1973).

Vom Nahen Osten ausgehend fand die weitere Verbreitung nach Europa über Griechenland statt, die ältesten Funde von dort sind ca. 7.500 Jahre alt. Im heutigen Bulgarien datieren älteste Funde auf 6.350 Jahre vor unserer Zeit. Ähnlich alte Funde wurden im Rheingraben gemacht und stammen aus der Bandkeramikzeit im frühen Neolithikum Mitteleuropas bzw. der mitteleuropäischen Jungsteinzeit. Entlang der Donau und in den Alpen fehlen Funde aus der Zeit, so dass der Anbau der Erbse hier evtl. erst im späten Neolithikum oder in der frühen Bronzezeit begonnen hat. Insgesamt gibt es in Europa weniger Funde aus der Bronzezeit, sie nehmen erst mit Beginn der Eisenzeit wieder zu (Zohary und Hopf 1973).

In jedem Fall wurden die Funde der Erbse und anderer Hülsenfrüchte parallel zu Getreidefunden gemacht. Hülsenfrüchte haben nicht nur einen deutlich höheren Proteingehalt als Weizen oder Gerste, sie sind bei fleischarmer Ernährung eine hervorragende Ergänzung zum Getreide, da insbesondere die essentielle Aminosäure Lysin in allen Getreidearten nur in relativ geringen Mengen vorkommt, während Hülsenfrüchte besonders viel davon enthalten. Der Bedarf an Lysin ist bei Kindern besonders hoch und wird zu einem großen Teil über die Aufnahme tierischer Produkte wie Milch, Eier, Fleisch oder Fisch abgedeckt. Bei einer veganen oder an tierischen Produkten armen Ernährung reichen die in den meisten Getreiden, Gemüsen und Nüssen vorkommenden Mengen nicht aus. Die Kombination dieser Produkte mit Hülsenfrüchten wie der Erbse führt aber wieder zu einer hochwertigen Aminosäurezusammensetzung (Berrazaga et al. 2020). Das mal häufigere und dann wieder abnehmende Auftreten von Erbsen und anderen Hülsenfrüchten in archäologischen Fundstätten könnte somit ein Hinweis auf die Verfügbarkeit tierischer Produkte sein.

Die Rolle der Erbse im alten Ägypten und Rom gilt als wenig gesichert, da Begrifflichkeiten historischer Schriften nicht immer eindeutig einzelnen Hülsenfrüchten zuzuordnen sind. Es kann angenommen werden, dass allein aufgrund der klimatischen Verhältnisse anderen Hülsenfrüchten wie der Kichererbse eine größere Bedeutung zukam (Hedrick et al. 1928), denn die Erbse gedeiht am besten im kühl gemäßigten Klima. Die Ausbreitung nach Osten, insbesondere China fand vermutlich erst relativ spät statt. Die Sojabohne wurde vor 9.000 Jahren im nördlichen Zentralchina domestiziert und war deshalb schon sehr früh die dort verbreitetste Hülsenfrucht.

Von Großbritannien bis nach Osteuropa war die Erbse über das gesamte Mittelalter und darüber hinaus ein bedeutendes Grundnahrungsmittel. Neben ihrer ernährungsphysiologischen Bedeutung ist die Erbse wie andere Leguminosen und Getreide lange haltbar und kann über weite Strecken transportiert werden. Die Möglichkeit der Stickstoffbindung über die Rhizobien-Symbiose macht Hülsenfrüchte prädestiniert zur Kultivierung marginaler Böden, die nur geringe Mengen an verfügbarem Stickstoff aufweisen und somit auch nur zu minimalen Getreideerträgen führen können. Die Erbse wird in allen wichtigen botanischen und gärtnerischen Büchern des Mittelalters und der frühen Neuzeit beschrieben und ist wohl auch Lieferant für Kohlenhydrate und Proteine bei den Armeen und Seefahrern gewesen (Hedrick et al. 1928).

Bis in die frühe Neuzeit wurden Erbsen wahrscheinlich überwiegend im reifen Zustand konsumiert. In England und Schottland hat neben dem klassischen Porridge aus Hafermehl das pease porridge eine lange Tradition. Sicher ist, dass mit dem ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Neuzeit auch die Zubereitung unreifer Samen und Hülsen weitere Verbreitung findet. John Woolridge beschreibt einige Erbsensorten in seinem 1677 erstmals erschienenen Werk Systema horticulturae, or the Art of Gardening als die süßesten und wohltuendsten aller Hülsenfrüchte. Weiter schreibt er, die Erbse werde schon lange in England angebaut, die süßen und delikaten Sorten seien aber erst spät eingeführt worden und die Zuckererbse, die süßeste von allen, werde mitsamt Hülse und den unreifen Samen darin gekocht.

Auch im Küchengarten von Versailles am Hof Louis XIV. wurden grüne Erbsen, die aus Italien oder Holland eingeführt worden waren, kultiviert und konsumiert. „Das Erbsenkapitel dauert an: die Ungeduld, sie zu essen, das Vergnügen, sie gegessen zu haben, und die Freude, sie wieder zu essen – das sind die drei Themen, über die unsere Prinzen seit vier Tagen reden,“ schrieb Madame de Maitenon, die letzte Mätresse von Louis XIV., 1696 aus Versailles. Angebaut werden Erbsen noch heute in den dortigen Gärten (Wolfparisblog 2016).

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