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Mendel und der Beginn der modernen Genetik: Die Erbse als Modellpflanze


 

Versuche (...) führten zu dem Resultate,
dass das Genus Pisum
den gestellten Anforderungen hinreichend entspreche.

(Gregor Mendel 1865)


(...) some writers have been led to overlook
the wonderfully consistent way
in which Mendel’s results agree with his theory (...)

(Raphael Weldon 1902)

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Die Erbse ist ein Selbstbefruchter mit 2n=14 Chromosomen. Obwohl bei den Wildformen als auch bei der Kulturerbse Bestäubung über Insekten möglich ist, herrscht bei den im Anbau befindlichen Sorten Kleistogamie vor. Das heißt, die Selbstbestäubung findet in der geschlossenen Blüte statt. Mendel entschied sich aufgrund der Kleistogamie für die Erbse als Modellpflanze, da Selbstungen, also Inzucht durch Selbstbestäubungen, leicht und sicher vonstattengehen. Die künstliche Befruchtung, bei der er die Knospe zum Entfernen der noch unreifen Staubfäden mit der Pinzette öffnete, um die Narbe später mit fremdem Pollen zu bestäuben, beschreibt er zwar als umständlich aber zumeist gelingend (Mendel 1866). Wenngleich die Erbse seit mehr als 150 Jahren eine Modellpflanze für Genetiker ist, an der Mendel die nach ihm benannten Vererbungsregeln entdeckt und untersucht hat, wurden in der vergangenen Jahren bevorzugt andere Leguminosen untersucht. Ein Grund hierfür ist das mit ca. 4,45 Gb ausgesprochen große Genom der Erbse (Kreplak et al. 2019).

Mendel untersuchte eine Reihe von Merkmalen, von denen Form und Farbe der Samen die wohl bekanntesten sind (Mendel 1866, Miko 2008). Zunächst arbeitete er mit reinerbigen Pflanzen, die er über mehrere Generationen geselbstet hatte. Danach kreuzte er Elternlinien mit verschiedenen Eigenschaften untereinander. Obwohl bereits vorher gegenteiliges beobachtet wurde (Gärtner 1849), ging man weitestgehend davon aus, dass Nachkommen immer einer Mischung aus ihren Eltern entsprechen, was einem intermediären Erbgang gleichkommt. Die Nachkommen von Elternlinien mit runden und eckigen Samen konnten diese Annahmen aber nicht stützen, denn alle waren rund. Der dominante Erbgang war entdeckt. Da alle Nachkommen in der ersten Filialgeneration (F1) gleich aussahen, formulierte Mendel daraus die Uniformitätsregel, das 1. Mendelsche Gesetz.

Als Mendel in einem weiteren Schritt die F1-Pflanzen, die genetisch alle identisch waren, mit sich selbst kreuzte, traten sowohl runde als auch eckige Samen im Verhältnis 3:1 auf. Mendel stellte fest, dass Eigenschaften, die in der F1 nicht mehr auftauchten, weiterhin rezessiv vorhanden waren und an spätere Generationen vererbt werden konnten. Er nutzte dabei die Denomination AA für den Elter mit runden Samen und aa für den Elter mit eckigen Samen. In der F1 kamen nur Aa Genotypen mit runden Samen vor, da „rund“ die hier dominante Eigenschaft ist. In der F2 glich ein Viertel der Genotypen wieder dem dominanten Elter AA, ein weiteres Viertel dem rezessiven Elter aa, die Hälfte blieb genotypisch identisch mit der F1-Generation (Aa). Da letztere phänotypisch nicht vom reinerbigen Genotyp AA unterschieden werden konnten, kam das Spaltungsverhältnis 3:1 zustande. Heute wissen wir, dass A und a den zwei Allelen eines Gens entspricht. Mendel formulierte aus seinen Ergebnissen die Aufspaltungsregel, die wir als 2. Mendelsches Gesetz kennen.

Was aber passiert, wenn man Eltern miteinander kreuzt, die sich in zwei Eigenschaften voneinander unterscheiden? Um das herauszufinden kreuzte Mendel Pflanzen mit eckig-gelben Samen (aaBB) mit solchen mit rund-grünen Samen (AAbb). In der F1-Generation waren alle Nachkommen rund und gelb (AaBb), da das die dominanten Eigenschaften waren. Im nächsten Schritt kreuzte er die F1 untereinander. In der F2-Generation traten jetzt alle möglichen Kombinationen der Merkmale auf: rund-gelbe (AABB, AABb, AaBB, AaBb), eckig-gelbe (aaBB, aaBb), rund-grüne (AAbb, Aabb) und eckig-grüne (aabb) Erbsen. Für sich genommen traten die Eigenschaften wieder im Verhältnis 3:1 auf, in oben genannter Kombination im Verhältnis 9:3:3:1. Da in der Elterngeneration weder eckig-grüne noch rund-gelbe Samen vorkamen, wusste Mendel, dass die Eigenschaften unabhängig voneinander vererbt werden. Die Unabhängigkeitsregel oder das 3. Mendelsche Gesetz war geboren.

Mendel hat bei seinen Arbeiten nicht nur die richtigen Eigenschaften gewählt, nämlich solche, die über einzelne Gene vererbt werden, er hatte auch etwas Glück, denn die beiden oben genannten Eigenschaften vererbten sich wirklich komplett unabhängig voneinander. Würden die Gene für Form und Farbe sehr nahe beieinander auf demselben Chromosom liegen, wäre das nicht der Fall gewesen. Rekombinationsereignisse, also hier die Entstehung neuer Kombinationen von Form und Farbe wären nur gelegentlich zustande gekommen. Hätte Mendel sich auf Eigenschaften wie die Samengröße konzentriert, welche von vielen Genen beeinflusst werden, würden sich daraus keine eindeutigen Spaltungsregeln ableiten lassen, da in der F2 eine große Variation verschiedenster Samengrößen aufgetreten wäre.

Mendel war allerdings nicht der erste, der mit Erbsen experimentierte und Kreuzungen durchführte: Thomas Andew Knight befruchtete 1799 weiße Erbsen mit dem Pollen von solchen mit grauen Samen und fand, dass alle Nachkommen graue Samen hatten. Er machte sogar Rückkreuzungen, bei denen er feststellte, dass wieder weißsamige Erbsen auftraten. Alexander Seton kreuzte grüne mit weißen Erbsen und stellte 1822 ebenfalls fest, dass alle Nachkommen eine identische Samenfarbe hatten (grün). Nachdem er die grünen Samen wieder ausgesät hatte, konnte er Erbsen beider Farben ernten und stellte fest, dass keiner der Samen farblich intermediär war. Ebenfalls 1822 fand John Goss, dass in einer Kreuzung blauer und weißer Erbsen in der ersten Generation nur weiße Samen auftraten, in der zweiten Generation fand er Nachkommen die nur weiße, nur blaue oder sowohl weiße als auch blaue Samen in denselben Hülsen hatten. In der dritten Generation produzierten die blausamigen Erbsen nur blausamige Nachkommen, während die weißsamigen Pflanzen entweder nur weiße, nur blaue oder wieder beide Samenfarben in ihren Hülsen trugen. Knight kommentierte die Arbeiten 1822 und machte die richtigen Aussagen über Dominanz und Rezessivität, aber er zählte die jeweiligen Anteile nicht und konnte deshalb keine eindeutigen Regeln ableiten (Zirkle et al. 1951).

Ob Mendel diese Arbeiten kannte, ist ungewiss, aber schon in seinen einleitenden Bemerkungen erwähnt er die Regelmäßigkeit, die bei Hybriden zu beobachten ist, wenn Zierpflanzen künstlich befruchtet werden, um neue Farbvarianten zu erzeugen. Auch zitiert er die Arbeiten von Gärtner (1849) über die Erzeugung von Hybriden bei Pflanzen. Es ist also sicher, dass er nicht völlig unvoreingenommen seine Experimente begann. Sein größter Verdienst war es – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – exakt zu zählen und mit großen Zahlen zu arbeiten, klare Hypothesen zu formulieren und diese anhand statistischer Erwartungen zu überprüfen. So untersuchte er in seinem Experiment zur Ableitung des 1. Mendelschen Gesetzes mehr als 8.023 Samen von 258 Pflanzen, davon waren 6022 gelb und 2001 grün, gelb trat also zu grün im Verhältnis 3,01:1 auf, was dem theoretischen Spaltungsverhältnis von 3:1 schon sehr nahe kam. Mit einer auf nur wenigen Nachkommen basierenden Untersuchung wäre die Abweichung wahrscheinlich zu groß gewesen, um daraus klare Schlüsse zu ziehen.

Einigen Statistikern kamen die von Mendel erhobenen Spaltungsverhältnisse allerdings zu gut vor, um wahr zu sein. Bis zur „Wiederentdeckung“ der Vererbungsregeln durch Carl Correns und Hugo de Vries im Jahr 1900, wurde die 1866 veröffentliche Arbeit von Gregor Mendel kaum beachtet (Fairbanks und Abbott 2016). Während de Vries seine Gesetze zur Vererbung von Merkmalen zuerst publizierte, zitierte Correns, der zu ähnlichen Ergebnissen gekommen war, Mendel, nachdem er einen Sonderdruck von de Vries Forschungsarbeiten erhalten hatte (Wolpert 2004). Erst dadurch wurde die Erstentdeckung der Mendelschen Regeln tatsächlich Mendel zugeschrieben und der Biologe William Bateson organisierte die Übersetzung des Artikels von Mendel für die Royal Horticultural Society of London (Fairbanks and Abbott 2016). Ein Jahr nach der englischsprachigen Veröffentlichung 1901 schrieb der Biometriker Raphael Weldon dem Mathematiker Karl Pearson, bezugnehmend darauf, dass die Beobachtungen des Augustinerabtes Gregor Mendel seinen postulierten theoretischen Spaltungsverhältnissen fast durchweg sehr nahekamen: „Remembering his shaven crown I cannot help wondering if they were not too good.“ Obwohl er etwas später schrieb, Mendel „cooked his figures, but (...) was substantially right“, hatte er weiterhin Bedenken gegenüber der Allgemeingültigkeit von Mendels Aussagen (Franklin 2008), wobei er unter anderem Erich Tschermak-Seysenegg zitierte, der ebenfalls an Erbsen forschte, aber zumindest bei einigen der von Mendel untersuchten Merkmale weniger eindeutige Ergebnisse erzielte (Weldon 1902).

Der später sehr bekannt gewordene Statistiker Ronald A. Fisher berechnete 1911, im Alter von 21 Jahren, dass die Chancen bei einer Wiederholung der Experimente 16:1 gegen Mendel stünden, nochmals so gute Ergebnisse zu erzielen. Er schrieb: „It may just have been luck; or it may be that the worthy German abbot, in his ignorance of probable error, unconsciously placed doubtful plants on the side which favoured his hypothesis“ (Franklin 2008). In einem 1936 publizierten Artikel kam Fisher zu dem Schluss, dass die meisten Daten Mendels verfälscht sein müssten, weil sie der Theorie zu gut entsprechen und größere Abweichungen zu erwarten wären. Damit war die Mendel-Fisher-Kontroverse geboren, die nach 1966, dem 100. Jahrestag der Veröffentlichung der Grundlagen zur Vererbungslehre von Gregor Mendel an Fahrt aufnahm (Franklin 2008, Pires und Branco 2010, Fairbanks und Abbott 2016).

Ob Mendel einfach Glück hatte, ob er wissentlich Pflanzen aussortierte, die nicht seinen Erwartungen entsprachen oder ob er einen Assistenten hatte, der zu gut wusste, was Mendel erwartete – wie Fisher später vermutete – werden wir nicht mit letzter Sicherheit herausfinden können. Gesichert ist, dass die Mendelschen Vererbungsregeln bis heute ihre Gültigkeit haben und in Zukunft behalten werden. Mendel war der erste, der die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung eindeutig beschreiben konnte und er hat damit die Grundlagen sowohl für die Genetik als Wissenschaft als auch für die moderne Pflanzenzüchtung gelegt.

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